Schlagwort: Mikrogeschichten

  • 212. Milchstraße

    Milchstraße

    Paolo holte eine Flasche Hafermilch aus dem Kühlschrank.
    „Was hast du vor?“ Seine Schwester legte ihre Stirn in Falten. „Die magst du doch gar nicht.“
    Paolo legte den Zeigefinger auf die Lippen. „Stör mich nicht. Ich bin kreativ.“
    Er öffnete die Flasche und kippte mehrere Schluck auf dem Küchentisch. Dann nahm er ein paar Schokostreusel und ließ sie in die Flüssigkeit fallen. Er griff zum Handy und machte ein Foto.
    „Wir sollen ein Bild der Milchstraße machen und ich hab keine Lust zu malen.“

    (c) 2023, Marco Wittler

  • 211. Im Sturm

    Im Sturm

    Ein Sturm tobte über dem Meer und peitschte die Wellen auf.
    Ein Boot war noch draußen und nun den Naturgewalten schutzlos ausgeliefert.
    „Der Orkan wird immer stärker. Wir halten das nicht mehr lange durch. Wir werden es nicht mehr nach Hause schaffen.“
    Da sprang ein Hund ins Wasser, schnappte sich das Boot und brachte es aufs Trockene.
    „Fido!“, beschwerte sich Mia. „Du darfst nicht mit in die Badewanne. Du störst mich beim Unwetter spielen.“

    (c) 2023, Marco Wittler

  • 210. Wilhelm kann sich nicht entscheiden

    Wilhelm kann sich nicht entscheiden

    Wilhelm kratzte sich am Kopf. Na gut, er versuchte es nur, denn die Hand durchdrang ihn einfach, denn Willy war ein Geist.
    Noch einmal blickte er in das Lehrbuch aus der Zauberschule. Dort stand: Such dir eine alte Burg und schwebe durch ihren Eingang.
    „Mist.“ Er blickte auf die drei Tür vor sich. „Da steht was von EIN GANG, und nicht dreien. Welche muss ich denn jetzt nehmen? Sind wir hier bei Geh aufs Ganze, oder was?“
    Enttäuscht kehrte er in den Klassenraum zurück. Das war nicht seine Nacht.

    (c) 2023, Marco Wittler

  • 209. Müll

    Müll

    „Können diese verdammten Menschen ihren Müll nicht wieder mitnehmen oder gleich Zuhause lassen? Der hat in unserer Savanne nichts zu suchen.“
    Das Erdmännchen hob Plastiktüten und Getränkedosen auf, stopfte sie in einen großen Beutel.
    „Wäre ich nicht so klein, würde ich die Menschen schneller entdecken und Umweltschützer werden.“
    „Ich helfe dir dabei.“ Der Kopf einer Giraffe senkte sich herab. „Komm, ich trage dich hoch.“
    Von da an schimpften die Beiden mit jedem Touristen, der Müll fallen ließ.

    (c) 2023, Marco Wittler

  • 208. Busfahrt

    Busfahrt

    Der Bus hielt. Pauline stieg ein. Sofort verstummten die anderen Fahrgäste und blickten sie verwundert an, denn sie hatte eine große Zimmerpflanze samt Blumentopf bei sich. Die Blattstengel waren mit einem bunten Schleifchen verziert.
    Sie setzte sich, stellte den Topf ab und flüsterte der Pflanze zu.
    Ein Mann hielt es nicht mehr länger aus. „Was hat es mit der Pflanze auf sich?“
    Pauline lachte. „Jeder hält mich für seltsam. Jedem fehlen die Worte und ich kann die Stille im Bus genießen.“

    (c) 2023, Marco Wittler

  • 206. Korallenriff

    Korallenriff

    „Wir nähern uns dem Korallenriff.“ Der Captain war vor die Reisegäste getreten. Gleich beginnen wir mit dem Tauchgang. Es dürfen Fotos gemacht werden. Bitte denken sie aber daran, die hier lebenden Tiere nicht mehr als nötig zu stören. Die Tiere sind nicht an menschliche Besucher gewöhnt.“
    In diesem moment erhob sich eine mächtige Wasserschildkröte aus dem Wasser. „Hier bin ich. Bitte fotografiert mich. Und wenn ihr noch ein Model mit dem gewissen Etwas sucht, kann ich euch meine Setcard geben.“

    (c) 2023, Marco Wittler

  • 205. Kirschkern

    Kirschkern

    Rick Reporter betrat die Terrasse von Herrn Meier. Er zog sein Handy aus der Tasche und begann mit dem verabredeten Interview.
    „Herr Meier. Seit dreißig Jahren sind sie nun schon Weltmeister im Kirschkern-Weitspucken. Meine Frage dazu: Wie oft am Tag, in der Woche üben sie, um sich die Konkurrenz vom Hals zu halten?“
    Herr Meier lachte, stopfte sich eine Kirsche in den Mund und spuckte den Kern aus. Dieser flog weit und landete in einem großen Kirchbaumhain.
    Rick Reporter pfiff anerkennd.

    (c) 2023, Marco Wittler

  • 204. Schaukel

    Schaukel

    Nach dem schweren Sturm, riss am Abend die Wolkendecke auf. Es kamen nicht nur die Sterne aus ihren Verstecken, sondern auch ein kleiner Waschbär, der traurig auf die alte Eiche blickte, die nun zerborsten am Boden lag.
    „Wo soll ich denn nun meine Schaukel aufhängen? Das war doch immer mein Lieblingsplatz.“
    In diesem Moment ging der Mond auf. Er hörte von der Katastrophe und hatte sofort eine Idee. Er zog seinen Bauch ein und zeigte auf seine Sichel.
    „An mir ist immer Platz für eine Schaukel.“

    (c) 2023, Marco Wittler

  • 203. Überfall

    Überfall

    Willi der Cowboywurm lag in seiner Hängematte und genoss die Mittagsstille. Den Hut hatte er sich wegen der Sonne tief ins Gesicht gezogen.
    Plötzlich war da Lärm. Frauen und Kinder schrien, Männer brüllten, es wurde geschossen.
    „Ein Banküberfall.“ Willi musste eingreifen. Er musste seine Mitbürger beschützen. Er wollte aufstehen, seinen Colt ziehen und …
    „Mist! Ich bin ein Wurm. Ich kann nichts machen. Mir fehlen Arme und Beine.“
    Zur Untätigkeit verdammt, blieb er in der Hängematte liegen.

    (c) 2023, Marco Wittler

  • 202. Gedicht

    Gedicht

    Die kleine Schnecke saß auf ihrem Lieblingsfliegenpilz und schrieb an einem langen, wunderschönen Gedicht. Jedes Wort brachte sie mit einer kleinen Wachtelfeder einzeln auf ein altes, vergilbtes Stück Papier, das ein Wanderer verloren hatte.
    Mit der Zeit verging der Tag und es wurde langsam dunkel.
    „Super. Wie soll ich in der Nacht mein Gedicht vollenden? Ich kann nichts mehr sehen.“
    Da öffnete eine nahe Sonnenblume ihre Blütenblätter und schenkte der Schnecke für eine Weile etwas Licht.

    (c) 2023, Marco Wittler

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